
Von Berlin wissen wir durch seinen lustigen Bürgermeister, es sei „arm aber sexy“. Da stellt sich die Frage, wie erotisch ist Hannover? Zugegeben, da fällt einem zunächst nichts ein. Doch dann erinnert man sich.
Im seligen Jahr 2009 startete die Landesregierung, beim Versuch der CeBIT neues Leben einzuhauchen, eine gewagte Werbekampagne. Sie sprach von der „Erotikmesse für den innovativen Niedersachsen“. Die Erregung war groß. Nur leider aus der falschen Ecke. Statt Anerkennung gab es Prügel. Die Kampagne musste eingestellt und alle Plakate überklebt werden. Man merkt: Erotik ist in Hannover ein schwieriges Thema.
Nacktheit in der Kunst ist so alt wie die Kunst selbst. Das älteste gefundene Kunstwerk, die Venus von Willendorf, ist eine kleine, knubbelige Tonfigur mit Monsterbrüsten. Sie ist rund 25.000 Jahre alt. Eine dralle Frauengestalt, wunderbar auf ihre erotischen Merkmale reduziert. Dann kam die Antike mit ihren nackten Athleten und heroischen Götterstatuen. Dann kam die Renaissance mit Cranach und Botticelli. Deren Venusbilder sind nichts anderes als gemalte Pin-up-Girls. Dann kam Rubens mit seinen wollüstigen Weibsbildern. Und sofort bis zur Moderne. Die Kunst drehte sich immer um den Eros. Es ist die Lust am Körper, die den Menschen anmacht.


Hannover erweist sich auch da als eine Stadt wie jede andere. Die Straßen sind voll nackter Kunst. Viele Skulpturen im öffentlichen Raum sind entblößt. Ob alt oder modern, sie zeigen den Eros ihrer Zeit. Das bekannteste Paar steht am Maschsee, fasst sich an den Schultern, ist komplett unbekleidet und blickt (seit 1937) heroisch auf die trüben Gewässer. Die Figuren stammen aus einer Zeit, die wir heute gerne vergessen würden, die aber zumindest einen Sinn für körperliche Ästhetik hatte. Daneben finden wir eine etwas klobige Frauenfigur – mit Armen und Beinen wie Röhren – am Georgsplatz und zwei wunderschön durchmodellierte Mannsbilder vorm Neuen Rathaus (der Bogenschütze) und am Schiffgraben (der Diskuswerfer). Modellathleten, die jeden körperbewussten Mann neidisch werden lassen. Die Reihe der Nackedeis setzt sich mit einer Trias rund ums Stadion fort: Der Maschseeläufer hoch oben auf der Säule (von der das Hakenkreuz abgekratzt wurde, um ihn zu neutralisieren), die Speerträger vor dem Eingang des Stadions (die seltsamerweise geschlechtslos sind) und schließlich die Staffelläufer dortselbst, die ihre Körper anmutig verbiegen im läuferischen Bewegungsspiel.
Wer auf Nippelschau gehen möchte, findet reichlich Material: Da ist der halbentblößte Jüngling vom Höltydenkmal. Da ist der muskelbepackte Schürzenträger vom Duve-Brunnen. Da sind die natürlich die Nanas, eine wahres Konglomerat weiblicher Rundungen. Und da ist die Sphinx hinterm Wilhelm-Busch-Museum, die ihren riesigen Busen vor sich herschiebt, wie eine Film-Diva der 50er Jahre. Warum die Sphinx einen so üppigen Busen trägt, ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Ihr Vorbild, das ägyptische Ursprungsmodell, hat nämlich keinen.


Nicht zu verschweigen die diversen Schönheiten mit entblößtem Busen auf den Friedhöfen unserer Stadt. Überhaupt die Friedhöfe. Dort, wo es eigentlich um die letzte Ruhe geht, tummeln sich die Nackedeis. Nein, nicht die niedlichen Engelchen mit nacktem Po. Da räkeln sich barbusige Frauen auf Grabplatten und unbekleidete Jünglinge strecken ihre Glieder.
Auch die moderne Kunst weiß um das Spiel mit der Erotik: Die Skulptur vor dem VGH-Verwaltungsgebäude gleicht einem stilisierten „Riesenpimmel“. Der Räuber Hanebuth zeigt die Erotik des dickbäuchigen Mannes. Der Mann am hohen Ufer, der ein Pferd führt, trägt keine Hose, dafür aber einen Helm. Er stammt aus dem Jahr 1952 Wahrscheinlich ist dies ein Tribut an die Not der Nachkriegszeit.
Höhepunkt der Nacktschau sind natürlich die Figuren in den Herrenhäuser Gärten. Ein wahres Freiluftballett der Erotik. Ob in Gips oder vergoldeter Bronze, sie strecken ihre Busen frei in die Lüfte, posieren mit ihren athletischen Körpern oder verheddern sich im Liebespiel. Und das unter den Augen von jährlich zigtausenden Besuchern. Da guckt dann die ganze Familie nackte Menschen und denkt sich nichts dabei, während dem Typen aus der Zalando-Werbung sein Pimmel weggepixelt wird. Kunst darf eben das, was Werbung nicht darf. Kunst ist Pornografie. Aber keiner merkt es.

